Es ist heiß, sehr heiß. Auf Pablos Dachterrasse in Buenos Aires sind gefühlte 50 Grad und ich bin total durchgeschwitzt. Es ist meine dritte Tangostunde über den Dächern der Tangometropole und ich bin beileibe keine totale Anfängerin, aber fühle mich gerade so. Drei Wochen habe ich mir Zeit genommen, um hier der Seele des Tango auf den Zahn zu fühlen und bin gerade diejenige, die auf dem Zahnfleisch geht…
Gleich am Ankunftstag fuhr ich nachmittags zur Einstimmung in das Café Tortoni.
Die Wände des alten Cafés sind voller tänzerischer und musikalischer Tangopersönlichkeiten, aus den alten Lautsprechern tönt Astor Piazolla, auf einer kleinen Bühne finden regelmäßige Liveshows statt. Gäbe es hier nicht so viele Touristen, dass man teilweise draußen anstehen muss, um einen Platz zu bekommen, wäre es ein wunderbarer Ort, den Tag zu verträumen. Aber egal, ich war in völliger Tangolaune und ging daraufhin abends gleich zu einer Milonga – einem Tangoabend – und habe mehr oder minder den ganzen Abend an meinem Stuhl geklebt.
Hatte gedacht, ich würde von feurigen Argentiniern über das Parkett bewegt – von wegen! Wer die Etikette nicht kennt, die Abläufe nicht erklärt bekommt, dazu sehr kurze Haare hat und keine 13 cm hohen Absätze trägt, ist unverkennbar eine ‚Neue‘ und wird somit zum Mauerblümchen, denn kein argentinischer Tangotänzer gibt sich die Blöße und fordert eine Unbekannte auf, es sei denn sie sieht aus wie Claudia Schiffer. Ich wollte schon genervt aufgeben, da hat sich dann doch noch ein Schwede erbarmt. Genauso zum ersten Mal da wie ich und ähnlich uninformiert. Jetzt bin ich eine Woche da, habe mich akklimatisiert und nach den ersten Stunden bei meinem Tangolehrer, einer Einführung in die Etikette und weiteren Abenden in diversen In-Lokalen habe ich eine perfekte Lösung für mich gefunden: Einen Taxi-Dancer!
Das Prinzip ist denkbar einfach: Ich miete einen Tänzer, der abends gemeinsam mit mir ausgeht. Er tanzt mit mir, dabei können andere Tangotänzer gucken und wenn ich mich dabei bewähre, fordert mich später auch mal ein Fremder auf. Hört sich furchtbar an? Ist es aber nicht. Sehr zweckmäßig und amüsant. Noch dazu habe ich mit Ramiro einen wahren Glücksgriff getan. Er tanzt super, riecht gut (nicht ganz unwichtig bei den Temperaturen und engen Tanzhaltung) und kennt alle wichtigen Läden der Stadt. Nach ein paar solcher Abenden kann ich dann auch alleine losgehen, denn irgendwie trifft man wieder auf die gleichen Tänzer, ist nicht mehr die Neue und sitzt nicht mehr bloß rum, es sei denn, man trägt weiterhin keine hohen Absätze,aber frau lernt ja gerne dazu.
An den Tagen, an denen es nicht nur ums Tanzen geht, erkunde ich die diversen Stadtviertel, was wirklich hochinteressant ist. Buenos Aires ist keine homogene Stadt, die Barrios sind sehr unterschiedlich und für die meisten braucht man mehr als einen Tag, um sie zu erkunden. Recoleta ist zum Beispiel das hochherrschaftliche, aristokratische Wohnviertel mit dem Flair des savoir vivre.
Gepflegte Hauseingänge mit Portier führen in die vielstöckigen Neubauten, die teilweise auf dem Dach einen Pool für die hochkarätigen Bewohner bereithalten, eine Tiefgarage und überhaupt viel Chrom und Messing. In den Straßen teure Boutiquen, schicke Bars, hervorragende Restaurants und sehr elegant gekleidete Argentinier. Hier befindet sich auch der berühmte Friedhof mit dem Grab Evitas. Zu erkennen an den frischen Blumen die alte und junge Verehrer noch heute niederlegen.
San Telmo ist das Barrio des Tango und des Samstag-Flohmarktes. Die Häuser sind alt, niedrig; auf das Kopfsteinpflaster wird am Wochenende ein flaches Brett gelegt, Bandoneonspieler packen ihre glänzenden Instrumente aus und die Show beginnt – Tango live.
La Boca ist Fußballfans bekannt. Das Stadion ‚La Bombonera‘ (Pralinenschachtel) wurde durch Maradona weltberühmt und nicht weit davon, im Caminito hatte die eher ärmliche Bevölkerung vor vielen Jahren ihre grauen Wellblechhütten satt und strich diese in knallbunten Farben. Heute eine Touristenattraktion mit viel Nepp, aber trotzdem sehenswert.
Um ‚La City‘ kommt man nicht herum, wenn man sich ein wenig für die aktuelle Geschichte Argentiniens interessiert. An der Plaza de Mayo steht die Casa Rosada, von deren Balkon einst Evita als ‚Schutzpatronin der Hemdlosen‘ vor den frenetisch jubelnden Massen erschien.
Der Platz davor ist heute Sinnbild für den nicht endenden Protest der Madres de la Plaza de Mayo, die Woche für Woche gegen die während der Militärdiktatur verübten Verbrechen an ihren Familien protestieren. Diesen Frauen ist es zu verdanken, dass dieses schwarze Kapitel der argentinischen Geschichte endlich in einer breiteren Öffentlichkeit thematisiert wird. Auch heute tauchen noch verschollene, totgeglaubte Kinder auf, die Nicht-Regimetreuen zur Zeit der Diktatur als Babys oder Kleinkinder weggenommen und den Familien der Militärs zur Adoption freigegeben wurden. Durch DNA-Tests lassen heute einige ihre wahre Herkunft prüfen und finden so nach mehr als 30 Jahren zu ihren richtigen Familien.
Zurück zum Hier und Jetzt: Die Avenida 9 de Julio ist die breiteste Straße der Welt, markant durch den hier stehenden Obelisken. Das berühmte Teatro Colon ist ganz in der Nähe. Nach fast 5 Jahren Renovierung finden hier nun wieder Aufführungen statt. Wagners Ring zum Beispiel – ausverkauft. Die Argentinier lieben Kultur aus Europa, erinnert es sie doch an ihre Wurzeln.
An ‚La City‘ schließt Puerto Madero an. Einst unschönes Hafengelände, jetzt Ausgehviertel für die Schickeria der Stadt mit extravaganten Hotels und dem bekanntesten Steak Restaurant ‚Cabaña Las Lilas‘. Hier aß schon Helmut Kohl, ich weiß allerdings nicht genau was.
À propos Steak: Wenn man bei uns zwischen 5 verschiedenen Fleischstücken wählen kann, ist das schon enorm, in Argentinien sind es jedoch bestimmt ein Dutzend verschiedener Schnitte zwischen denen man wählen kann. Oft helfen die Kellner und bringen einen Teller rohes Fleisch mit Fähnchen darin auf denen man den Teil des Tieres erkennt aus dem das enorme Stück geschnitten wurde.
Dazu gibt es chimichurri -eine spezielle scharfe Sauce- und Pommes frites. Übrigens: Sollten Sie bei Argentiniern zum churrasco eingeladen werden – pro Person rechnet man gerne mit einem knappen Kilo Fleisch! Seien Sie gewappnet.
Nicht vergessen werden darf der Stadtteil Palermo. Wie eine dörfliche Enklave mutet es auf den ersten Blick an, was die Häuserhöhe anbelangt. Viel Grün, viele Bäume, das hat die Kreativen auf die Idee gebracht sich hier niederzulassen. Galerien, Designer, Künstler, schrille und urige Lokale… Sehr angenehm , wenn man mal der Hektik der Häuserfluchten in den anderen Barrios entgehen möchte.
Verloren gehen? Eigentlich fast nicht möglich. Die schachbrettartig angelegten Straßen der Innenstadt sind eine hervorragende Orientierungshilfe. Jede Straße ist kilometerlang und jedes Quadrat umfasst je Straßenseite 100 Hausnummern. Man nennt somit als Adresse Straße und Hausnummer und die nächste Querstrasse, damit man sich schnell zurecht findet. Jede Straße ist dazu eine Einbahnstraße, nur die Avenidas führen Verkehr in beiden Richtungen. Wenn man das erst einmal raus hat, ist die Orientierung eigentlich leicht. Eigentlich. Zum Ziel hin bin ich auch immer mit dem Bus gekommen, aber für den Weg zurück fand ich nie die richtige Bushaltestelle. Ist es die Straße oberhalb oder unterhalb der wo ich angekommen bin? Egal, es gibt ja viele, viele Taxis. Und somit habe ich auch diese Art des ‚taxi‘ kennengelernt, was mitten in der Nacht, oder früh am Morgen nach einer durchtanzten Nacht herrlich war, denn laufen hätte ich nicht mehr können…
Gute Nacht, Buenos Aires!
Ihre Saskia Sanchez
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