Ich fliege nach Afrika – das klingt verheißungsvoll. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder von unendlicher Weite, Tierherden, die Savannen durchstreifen, archaisch lebenden Volksstämmen. Aber was fällt mir im Besonderen zu Namibia ein? Im Südwesten gelegen, an Südafrika grenzend, ehemalige deutsche Kolonie, sehr wenige Menschen, sehr viel Natur, riesige Nationalparks, die höchsten Dünen der Welt, große Entfernungen, Hereros, Tiere, Diamanten, Hauptstadt Windhoek… Sehr viel weiß ich eigentlich gar nicht und so fahre ich mit vagen Bildern im Kopf los mit der Hoffnung eine einmalige Reise zu erleben.
Und einmalig und einzigartig ist sie, meine Reise durch Namibia!
Die Größe und Ausweitung des Landes lässt sich mit unseren Maßstäben nicht messen, mit nichts in Europa zu vergleichen. Das ist gut so, denn so erlebt man die Fremde als das was sie ist. Ich habe nur eine Woche Zeit und so komme ich in den Genuß, die Entfernungen per Flug zurücklegen zu dürfen. In einer kleinen Cessna in der maximal 5 Personen Platz finden, geht es von einem Ort zum nächsten und fliegen dabei nur wenige hundert Meter über dem Boden.
Die erste Station liegt eine gute Flugstunde südöstlich von Windhoek am Eingang des Namib-Naukluft Nationalpark, besser bekannt als Sossusvlei. Meine Begleitung und ich werden am Airstrip, einer Schotterpiste, von unserem Guide abgeholt, der uns die nächsten Tage ganz individuell führen wird. Noch bevor wir an der Lodge ankommen, hat Petrus uns erzählt, ich könnte direkt auf eine Entdeckungstour gehen, welche Aktivitäten auf uns warten und was wir erleben können.
Little Kulala ist die sicherlich luxuriöseste Lodge in Sossusvlei. Alle Gäste haben ein eigenes „Haus“ mit großer überdachter Holzterrasse, Sitzecke, Plungepool, Schlafzimmer mit bodentiefen Fenstern, großem Bad mit Dusche und einem kleinen ummauerten Garten mit Außendusche. Der Blick geht über die unendliche Weite die sich vor der Lodge erstreckt, bedeckt mit leicht wogendem, gelblichem Gras und nur von wenigen sanften Hügeln durchbrochen. Von meinem Aussichtsplatz auf der Dachterrasse sehe ich ganz in der Nähe Oryxe, Springböcke und einen Strauß friedlich grasend.
Während der nächsten zwei Tage nimmt Petrus uns frühmorgens mit auf naturkundliche Exkursionen im offenen Geländewagen und kredenzt uns am Abend einen Sundowner mit Häppchen am gedeckten Tisch, während wir beseelt den Sonnenuntergang betrachten. Die Landschaft ist beeindruckend, auch wenn sie auf den ersten Blick eintönig erscheint. Mit sich veränderndem Sonnenstand entstehen ganz neue Farben und Kontraste, mischen sich zum Abend die Tiergeräusche unter den Wind, erkennt man den Ruf der … Vögel. Alles ist friedlich und harmonisch, ein idealer Einstieg, um von der Hektik des Alltages herunterzukommen und sich auf die Magie Afrikas einzulassen. Die Lodge tut das ihre dazu. Warmherzige Menschen, hervorragende Küche, ein großartiger Weinkeller – hier kann man sich nur wohl fühlen und ich frage mich: Kann es schöner werden?
Von Sossuslvei geht es nördlich ins Damaraland. Der Flug dorthin ist grandios, denn wir fliegen tief über die unendliche Dünenlandschaft, die sich Hunderte von Kilometern entlang der Küste zieht. Wir sehen verlassene Diamantenstädte, deren Umgebung so unwirtlich erscheint, dass man staunt, wie groß die Anziehung der versprochenen Diamantenfunde gewesen sein muss oder wie verzweifelt der Wunsch nach Reichtum, um sich hier niederzulassen. Vom Sand bedeckte Schiffswracks erscheinen unter uns und Kolonien von Robben.
Bei Long Beach, dem ersten Zeichen von Zivilisation, sehen wir große Schwärme von Vögeln mit pinkfarbenen Flügelspitzen – Flamingos. Wir fliegen über Swakopmund hinweg, den Ort, den fast alle Namibier zur Sommerfrische nutzen und biegen ab ins Landesinnere. Noch eine gute Stunde bis Damaraland. Die Landschaft unter uns ist jetzt vulkanischen Ursprungs mit verwitterten Vulkanen, die durch Jahrtausende andauernde Erosion ganz flach gerieben wurden.
Am Palmwag Airstrip wartet Anthony auf uns, unser Guide für die nächsten Tage.
Damaraland Camp besteht aus elf rustikalen Bungalows mit Zeltwänden, gemauerter Dusche und großer Terrasse mit Ausblick. Gegen Abend gehen wir mit Anthony auf einen Naturspaziergang und lernen einiges über die Pflanzen, die auf dem kargen vulkanischen Boden wachsen. Ornithologie ist sein Hobby und ich dachte immer ganz gute Augen zu haben, aber weit gefehlt. Anthony kann einen in 50 m Entfernung in einem Strauch sitzenden spatzengroßen Vogel ausmachen und benennen, ich sehe nicht einmal einen Elefanten in 100 m Entfernung. Zu meiner Verteidigung ist zu sagen, es war ein regungsloser grauer Elefant vor einem grauen Hintergrund. Später habe ich die Tiere – sobald sie sich bewegten – auch erkennen können. Damaraland ist voller Überraschungen: Am Abend köstliches Essen in einer Boma, einem mit Holz abgestecktem Bereich mit offenem Feuer, einen Morgen – völlig unerwartet – Frühstück inmitten der Wildnis auf einem Hügel mit Blick in den Sonnenaufgang.
Der spontane Besuch einer Internatsschule, der die Direktorin auf den Plan rief, ihren Chor zusammenzurufen und uns ein Ständchen zu bringen, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Ebenso die Tiere, die ich gar nicht gedacht hatte, hier zu sehen. Zwei frühmorgendliche Pirschfahrten (bei ca. 4°C Temperatur im offenen Geländewagen – ausgestattet mit Fließponcho und Wärmflasche!) brachten uns zu Rhinozerossen in einem Tal voller Wilwitschia, acht Löwenjungen mit zwei Muttertieren versteckt in hüfthohen Büschen und bewacht von einem Aasgeier, einer Herde Elefanten mit drei Kleinen, einem davon erst drei Wochen alt und einer Herde Giraffenmännchen, die zu zwölft entlang der Straße zogen. Auf einem Hügel eine große Herde Bergzebras und unzählige Vögel, Oryxe, Kudus und Springböcke. Als wir abreisen und uns das unglaublich engagierte Team der Lodge verabschiedet, haben wir Tränen in den Augen.
Wieder geht es im Flugzeug stundenlang über das Land.
Die Landschaft wird noch karger, wenn das überhaupt möglich ist. Wie große, runde Sommersprossen sind Flecken über das Land verteilt. Man nennt sie Elfenkreise und der Ursprung ist nicht klar, was viel Raum für Spekulation lässt. Deutlich erkennbar sind vereinzelt Kraaldörfer, die hier die modernen Farmen ablösen, deren silberfarbene Dächer und weithin sichtbare Windmühlen schon lange nicht mehr zu sehen waren. Unser Ziel ist Serra Cafema, die abgelegendste Lodge im südlichen Afrika. Als wir auf einer großen Ebene landen, die nur von rotem Sand bedeckt scheint, ahnen wir, wie abgelegen die Lodge ist. Um uns herum ist absolut nichts.
Das Toilettenhäuschen am Airstrip ist ein Fremdkörper. Fast eine Stunde dauert die Fahrt mit Dinish, unserem guten Geist der nächsten Tage, durch tiefen roten Sand, dann eine Mondlandschaft mit tiefen Canyons. Die einzigen großen Tiere sind Oryxe, die nur aufgrund ihrer hohen Anpassungsfähigkeit hier überhaupt eine Überlebenschance zu haben scheinen. Vor der wilden Kulisse muten sie wie Fabelwesen an, die sich jeden Moment ins Nichts auflösen können. Wir reden kaum, saugen die Landschaft auf, die vom Anfang der Erdzeitrechnung zu stammen scheint, bis wir plötzlich unter uns das blaue Band des Kunene River sehen und den schmalen grünen Streifen Vegetation, der die Ufer säumt. Auf der anderen Flußseite ist Angola.
Der Fluss ist Heimat von Krokodilen und so steht die Lodge am Ufer auf hohen Stelzen.
Holzwege führen von den sechs großen Holzbungalows zum Mittelpunkt der Anlage mit großer Terrasse über dem Wasser.
Die Szene und Umgebung mutet an, aus der Zeit der ersten weißen Afrika Forscher zu stammen. Man meint, hier ist ein Ort für Geschichten aus der Pionierzeit, als man das Land vermaß und die hier lebenden Stämme entdeckte. Das Gefühl wird bestätigt, als am Abend Anekdoten und Erlebnisse am Tisch die Runde machen, Guides und Mitreisende erzählen. Ich könnte die ganze Nacht sitzen bleiben und zuhören, fielen mir nicht irgendwann die Augen zu. Von der Müdigkeit oder vom wunderbaren Weißwein – beidem wahrscheinlich. Dinish nimmt uns mit auf den Kunene und reist zum Sundowner illegal nach Angola ein, wo wir eine imaginäre Grenzlinie ziehen, überschreiten und uns zuprosten. Die nicht zu sehenden Krokodile verursachen ein mulmiges Gefühl. Jeder Zeit könnte eines unter unserem kleinen Boot auftauchen, der Fluss ist so trüb, wir würden es erst sehen, wenn es den Kopf aus dem Wasser streckt. Gar nicht zu beschreiben, ist das Gefühl, als wir mit Dinish zu den Himba fahren. Der Volksstamm ist auf wenige Hundert Menschen dezimiert. Die Familien wohnen einzeln in Hütten aus Holzstöcken, verputzt mit Rinderdung. Der größte Besitz der Himba sind ihre Tiere und während die Männer das Vieh tagsüber kilometerweit treiben, um genügend zu fressen zu finden, sind die Frauen im Dorf und kümmern sich um die Kinder und Vorräte, fertigen Kleidung aus Fellen an, schnitzen Schmuck und bereiten Essen vor.
Meine Erzählung kann die Eindrücke nur mangelhaft widergeben, aber eines ist sicher: Dies ist der bewegendste Teil der Reise. Noch nie habe ich Menschen getroffen, die verbundener mit ihrem Land waren, die völlig unabhängig von modernem Konsum leben und denen unsere Lebenseinstellung total fremd und – wahrscheinlich – unnütz erscheint. Meine persönliche Perspektive wurde gerade gerückt und ich hoffe, die veränderte Sichtweise sehr, sehr lange beibehalten zu können. Sollte sie mir langsam aber sicher wieder abhanden kommen, komme ich noch einmal hierher – ganz bestimmt.
Namibia ist so viel mehr, als ich erwartet habe. Die Reiseroute hat für mich landschaftliche Schönheit neu definiert, ebenso wie Luxus hier eine andere Stufe erreicht. Luxus bedeutet hier nicht Verschwendung und Dekadenz, goldene Wasserhähne und alles im Überfluss. Hier ist es Raum, Platz, die Harmonie der Materialien und Farben, die schönsten Ausblicke vom Bett aus auf die Welt, schlafen unter dem Sternenhimmel, uneingeschränktes Naturerlebnis und Zeit – Zeit haben und sich Zeit nehmen, das alles zu genießen.
Ihre Saskia Sanchez